Mix aus Thriller, Drama und Geheimdienst-Action
"Das zweite Attentat" mit Noah Saavedra: "Schamlose Lüge ist ein alltägliches Instrument geworden"
Aktualisiert:
von teleschauIn der sechsteiligen Serie "Das zweite Attentat" sucht Alexander Jaromin (Noah Saavedra) nach dem Mörder seines Vaters und seiner Schwester.
Bild: WDR/EIKON Media GmbH/Thomas Kost
Noah Saavedra gehört zu den charismatischsten Schauspielern seiner Generation. In der ARD-Miniserie "Das zweite Attentat" übernimmt der Wiener die Hauptrolle. Im Interview mit "teleschau" äußert er sich zu seinem Detektiv-Debüt, die Macht politischer Lügen und die Gefahren des Populismus - und darüber, wo er sich selbst zu Hause fühlt.
Der Österreicher mit chilenischen Wurzeln
Der heute 34-Jährige wurde am Jugendtheater entdeckt und machte früh Karriere in einem Biopic über den Maler Egon Schiele. Bald sah man ihn auch in gefeierten deutschen Produktionen wie "Lotte am Bauhaus" oder "Bad Banks". Saavedra lernte seinen Beruf an der berühmten Berliner Schauspielschule "Ernst Busch" und stand zuletzt vier Jahre am Münchner Residenztheater auf der Bühne. Nun will er sich wieder verstärkt der Arbeit vor der Kamera widmen. In der ARD-Serie "Das zweite Attentat" mimt er einen jungen Fotografen in Athen, der nach dem Krebstod der Mutter von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Die ist zwar fiktiv, der politische Skandal hinter der Geschichte jedoch wahr.
Die zweite Folge von "Das zweite Attentat" im ARD-Livestream auf Joyn
Wie nahe stehen Sie dem Agenten-Genre?
Noah Saavedra: Es ist für mich das erste Mal, dass ich damit zu tun habe. Ich empfinde es als sehr spannende Kategorie, weil es so unrealistisch ist. Ich vermute, in der Realität ist die Tätigkeit des Ermittlers unfassbar langweilig - jedenfalls die meiste Zeit. Nicht aufzufallen, scheint zentral zu sein in diesem Job. Die Spione in Filmen sind dagegen meistens "larger than life" - sie sind Helden. Als Schauspieler macht es Spaß, so etwas zu sein. Es ist ein bisschen wie ein Kinderspiel. Ich verkörpere in der Serie "Das zweite Attentat" aber keinen Agenten, sondern einen entwurzelten Typen aus einem Zeugenschutzprogramm. Ein großer Unterschied.
In der Tat. Sie spielen jemanden, der kaum Erinnerungen an seine Kindheit, also sein echtes Leben hat. Sie wollen nichts verstecken, sondern etwas finden!
Saavedra: Es ist verrückt, sich jemanden vorzustellen, der mit einer falschen Identität lebt und sich an seine echte - zum Teil altersbedingt - nicht erinnern kann. Man stelle sich vor: Du wirst gefragt, wo du herkommst und wie deine Kindheit war. Du kannst aber nichts dazu sagen. Entweder, weil du es nicht sagen darfst, aber auch deshalb, weil du traumatische Erlebnisse aus der Kindheit verdrängt hast.
"Man kann alles behaupten - und kommt damit durch"
Die Serie bettet diese fiktive Geschichte in einen wahren Skandal ein. Der falsche Informant "Curveball" erzählte dem BND damals Lügen über Massenvernichtungswaffen. Die USA benutzten seine ungeprüften Aussagen, um den zweiten Irakkrieg zu rechtfertigen.
Saavedra: Soweit ich weiß, hat der "echte" Informant "Curveball" den Amerikanern falsche Dokumente über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen auf fahrbarem Untersatz zukommen lassen. Die Amerikaner wiederum wussten immer um die Unechtheit dieser Dokumente. Sie kam ihnen sehr gelegen. Nur die Deutschen wurden angelogen - um sie dazu zu bringen, in den Krieg mit einzusteigen. Die Lüge als politisches Mittel ist heute wieder sehr aktuell. Auch wenn es nicht mehr dieselbe Art der Lüge ist, denn heute scheint sie schamlos und ohne Konsequenzen zu sein. Man kann alles behaupten - und kommt damit durch.
Und das war früher anders, glauben Sie?
Saavedra: Soweit ich mich erinnere, war es eine Sensation und ein Skandal, als die Wahrheit über erfundene Massenvernichtungswaffen zehn Jahre später herauskam. Heute ist es anders. Die schamlose Lüge ist ein alltägliches, allgegenwärtiges politisches Instrument geworden. Niemand wundert sich mehr darüber oder regt sich auf. Eigentlich bestürzend!
Wie konnte sich die Lüge als - sagen wir - anerkanntes Mittel der Politik durchsetzen?
Saavedra: Das hat wohl viel mit sozialen Medien und gespaltenen Gruppen in der Bevölkerung zu tun. Politiker sagen: Sofern nur 30 oder 40 Prozent, also vielleicht eine politische Mehrheit, eine Lüge glaubt, reicht mir das, um dieses oder jenes Ziel zu erreichen. Dann gibt es keine Lüge mehr, die zu absurd wäre. So wie jene von Trump, dass Migranten Katzen und Hunde essen, also die Haustiere anderer Leute.
Saavedra lebte das letzte Jahr überwiegend aus Koffern
Leben wir auch in einem Zeitalter der Polemik?
Saavedra: Ja, ganz klar. Man braucht nicht nur nach Amerika oder anderswo hinzuschauen, um die Veränderung der politischen Sitten mitzubekommen. Auch ein Friedrich Merz nutzt polemische Sprache, um seine Ziele zu erreichen. Und natürlich auch viele andere Politiker in Deutschland oder Österreich.
Sie sind Österreicher mit Wurzeln in Chile, leben nun aber schon länger in Deutschland. Wo fühlen Sie sich eigentlich zu Hause?
Saavedra: Das ist eine gute Frage. Offiziell lebe ich noch in München, wo ich etwa vier Jahre am Residenztheater gespielt habe. Diese Phase ist eigentlich vorbei. Im letzten Jahr habe ich vorwiegend aus Koffern gelebt und war viel unterwegs - zum Drehen, und auch in Chile, wo ich auf den Spuren meiner dortigen Familie gewandert bin. Ich habe zwei Serien am Stück gedreht - das ist immer ein langer Zeitraum der Abwesenheit. Für "Das zweite Attentat" waren wir einen Monat in Griechenland, einen in Luxemburg und auch in Köln. Zuletzt lebte ich für ein anderes Projekt vier Monate in Antwerpen. Ich bin jetzt wieder in München, habe hier aber abseits vom Theater wenig Bezüge. Ich denke darüber nach, in eine andere Stadt zu ziehen. Vielleicht sogar in ein anderes Land.
Ihr chilenischer Großvater ist vor Pinochets Militärregime nach Österreich geflohen. Wie sicher fühlen Sie sich heute in Österreich?
Saavedra: Sowohl in Deutschland als auch in Österreich, wenn ich mal da bin, fühle ich mich eigentlich sehr sicher. Wenn es aber nach manchen politischen Programmen einschlägiger Parteien ginge, wäre ich Kandidat für die sogenannte "Remigration". Was "Deportation" bedeutet, nicht mehr und nicht weniger. Dann wäre ich plötzlich nicht mehr sicher im von mir als das eigene empfundene Land.
"Ich bin stolz darauf, in einem Sozialstaat groß geworden zu sein"
Mit wem oder was fühlen Sie sich solidarisch?
Saavedra: Neben der Verbundenheit mit meiner Herkunft fühle ich mich fast noch solidarischer mit dem, was man das Proletariat nennt. Dass die Armen ständig ärmer und die Reichen immer reicher werden, ist für mich nicht hinnehmbar. Wir brauchen nicht noch mehr Milliardäre, sondern eine breitere Mittelschicht. Wir brauchen konkrete Sicherheit für viele. Ich bin stolz darauf, in einem Sozialstaat groß geworden zu sein.
Wie meinen Sie das mit dem Stolz?
Saavedra: Über meine Familie in Chile weiß ich, dass der Staat dort nicht unterstützt. Deshalb muss man sich in der Familie untereinander helfen. Es ist wie ein Gesetz. Einerseits kann man sagen: Es ist eine schöne Sache, denn Familie heißt automatisch Zusammenhalt. Andererseits ist es natürlich ein Korsett, aus dem man schlecht ausbrechen kann. Man kann seine Familie nicht hinter sich lassen. Selbst dann, wenn es eine schreckliche, dysfunktionale Familie wäre. In Europa wird uns das Arbeiten und Studieren überall erleichtert. Der Sozialstaat greift unter die Arme, wenn's mal nicht so läuft. Ein Vorteil, den man nicht hoch genug schätzen kann. Das ist etwas Wunderbares.
Populistische Parteien werden überraschend oft von armen Leuten gewählt. Warum eigentlich?
Saavedra: Das ist ziemlich verwunderlich, oder? Manche rechte Parteien lehnen den Sozialstaat in der Regel ab - oder sogar den Staat an sich. Wie großartig ist es, dass ich als Arbeiter oder jemand, der wenig verdient, einfach einen Arzt aufsuchen kann, der mich behandelt? Oder dass ich Krankengeld, Rente oder Arbeitslosengeld bekomme, wenn ich meinen Job verliere oder nicht mehr ausüben kann. Und trotzdem folgen so viele den Parolen jener, die das alles abschaffen wollen.
Ja, warum nur?
Saavedra: Weil die emotionalen Botschaften faschistischer und populistischer Parteien eingängiger sind. Weil sie weniger Auseinandersetzung verlangen und für jemanden, der keine Zeit, keine Lust oder keine Kapazitäten für politisches Gerede hat, die leichtere Lösung ist. Populisten sprechen die Herzen an. Sie verschleiern aber, dass sie sich um die Bedürfnisse voller Geldtaschen mehr sorgen, als um das Gemeinwohl.