"Nerve meinen Freundeskreis damit"
"Spuren"-Star Nina Kunzendorf: Das liebt sie an True-Crime-Geschichten
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von teleschau - Eric LeimannNina Kunzendorf spielt in "Spuren" die Leiterin Barbara Kramer, die mit ihren Kolleg:innen den Tatort untersucht.
Bild: © SWR/Luis Zeno Kuhn
Von 2011 bis 2013 spielte Nina Kunzendorf an der Seite von Joachim Król die Frankfurter "Tatort"-Ermittlerin Conny Mey. Die Fälle der beiden orientierten sich in der Anfangszeit an wahren Verbrechen - nun kehrt Kunzendorf in der Serie "Spuren" zu True-Crime-Ermittlungen zurück.
Diesmal zeigt sich Nina Kunzendorf noch fokussierter, gewissermaßen puristisch. In der vierteiligen Mini-Serie "Spuren" (Samstag, 15. Februar, 20:15 Uhr, Das Erste) spielt die 53-Jährige die Leiterin einer Soko, welche die Morde an zwei jungen Frauen in der südwestdeutschen Provinz aufklären soll. Beide Fälle sind echt, der ultra-realistische Krimi zeichnet die Ermittlungen akribisch nach. Im Interview mit der "teleschau" spricht Nina Kunzendorf darüber, warum True Crime die Menschen so fasziniert und wie es dazu kam, dass sie für die Serie im Dorf ihrer schwäbischen Urgroßmutter drehte.
Wie "unnormal" waren die Dreharbeiten zu "Spuren"?
"Spuren" ist anders als normale Krimis, weil die Serie Ermittlungsarbeit in all ihren Details und auch langatmigen Zähigkeit zeigt. Muss man eine solche Kommissarin anders spielen?
Nina Kunzendorf: Ich habe mich als Erstes gefragt, ob so ein Krimi überhaupt spannend ist. Mit Ermittlern, die stinknormal sind. Die weder Autisten sind noch ein Drogenproblem haben. Und mit einem wahren Fall, dessen echte Ermittlungsarbeit in all ihren Details quasi nachgespielt wird - auch wenn es natürlich ein paar dramaturgische Änderungen gab. Wie fanden Sie es denn?
Dieser Realismus ist fesselnd. Aber wie geht es Ihnen? Haben Sie Angst, dass Sie mit diesem "unnormalen" Krimi Ihr Publikum verlieren könnten?
Kunzendorf: Ich bin zu nah dran am Film, als das ich es objektiv einschätzen kann. Ich hoffe auf so einen Effekt, wie es mir selbst beim Hollywoodfilm "Spotlight" ging, der vor etwa zehn Jahren viele Preise gewann. Da verfolgt man langsam und akribisch erzählt die Recherche von Journalisten rund um einen Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche. Natürlich ist "Spotlight" ein Leuchtturm-Projekt, aber es zeigt mir: Filme, die ohne viel Privatleben der Figuren auskommen und auf klassische Spannungseffekte verzichten, können fesseln, indem sie das Aufdecken eines Geheimnisses oder Verbrechens einfach sehr detailgetreu nachbauen.
"Ich muss gestehen, dass ich ein richtiger True-Crime-Fan bin"
True Crime fasziniert viele Menschen. Auch Sie?
Kunzendorf: Ich muss gestehen, dass ich ein richtiger True-Crime-Fan bin. Sogar die schlechten Sachen mag ich (lacht). Irgendwelche True-Crime-Dokus über reißerische Fälle - da bleibe ich schon mal hängen - und schäme mich ein bisschen dafür. Ich schaue True Crime gerne zur Entspannung. Und es wirkt bestens bei mir (lacht). "Spuren" ist aber vor allem ein Polizeifilm, und ich mag dieses Genre sehr gerne. Was heißt: Ich schaue Polizisten gerne bei der Arbeit zu. Gerade dann, wenn es nicht nach drei Minuten bereits die erste Spur und nach zehn Minuten den ersten Ermittlungserfolg gibt, wenn man nicht dauernd von der einen in die andere Emotion gepeitscht wird.
Auch Ihr Frankfurter "Tatort" mit Joachim Król begann mit True-Crime-Fällen. Sollte bei wahren Vorlagen auch die Kommissarin besonders realistisch gezeichnet werden?
Kunzendorf: Das ist eigentlich immer mein Ansatz. Vorausgesetzt natürlich, das Genre verlangt das. Ich will Figuren spielen, die so auch in der Realität vorkommen könnten. Das ist mein Weg. Man kann als Schauspielerin oder Schauspieler durchaus auch andere Ansätze wählen, aber bei mir ist es so. Vielleicht mag ich deshalb auch so gerne True Crime und spiele oft Ermittlerinnen. Weil die Trockenheit, die Nüchternheit des Jobs mir die Chance gibt, Realismus zu zeichnen. Und dann eher in den kleinen Gesten ein bisschen mehr über den Menschen verraten oder andeuten. Aber das dann eben eher leise.
Warum ist True Crime so erfolgreich?
Kunzendorf: Wir leben in düsteren Zeiten, und ich glaube, die Leute suchen beim fiktionalen Fernsehen vor allem den Eskapismus. Sie wollen in fremde oder ideale Welten fliehen, um auf andere Gedanken zu kommen. Ich kann das nachvollziehen, wenngleich es mir ein bisschen anders geht. True Crime scheint auf den ersten Blick das genaue Gegenteil von Eskapismus zu sein. Und doch passt es, weil man auch durch True Crime in eine weit von einem selbst entfernt liegende Welt katapultiert wird. Eine Welt der Abgründe und der Grausamkeit, wo man sich dazu ein Bier auf dem Sofa aufmacht und denkt: "Wie krass! Dagegen ist mein Leben doch ziemlich normal und gemütlich."
"Mord ist immer noch der größte Tabubruch, den wir als Gesellschaft kennen"
Außerdem sieht man Ermittlern zu, die unsere Welt sortieren, indem sie den Fall lösen. Also wird Gerechtigkeit hergestellt.
Kunzendorf: Ja, genau. Es gibt also - trotz des harten Stoffs - gewissermaßen ein Happy End. Bei mir kommt noch dazu, dass ich den Ermittler-Job wirklich spannend finde. Wenn ich heute noch mal jung wäre, würde ich Kriminalistik studieren oder forensische Psychiaterin werden. Mich interessieren menschliche Abgründe, dunkle Seiten, Psychologie. Ich bin nicht besonders interessiert an Oberflächen. Ich gründle gerne herum und schaue hinter Fassaden oder in die Tiefe.
Wie macht sich diese Vorliebe in Ihrem Alltag bemerkbar?
Kunzendorf: Lassen Sie mich klarstellen, dass mein Alltag nicht daraus besteht, dass ich die ganze Zeit Geheimnisse aufdecken müsste (lacht). Aber ich nerve schon meinen Freundeskreis ein wenig damit, dass ich die Dinge immer ganz genau wissen will.
In "Spuren" sieht man eine riesige Soko am Fall arbeiten. Haben Sie mal drüber nachgedacht, warum wir als Gesellschaft einen gigantischen Aufwand betreiben, um einen Mörder zu suchen, aber bei anderen Verbrechen oder fatalen Missständen vergleichsweise wenig passiert?
Kunzendorf: Das ist ein interessanter Gedanke. Ich glaube, Mord ist immer noch der größte Tabubruch, den wir als Gesellschaft kennen. Wenn man sich mal anschaut, wie so eine Mordermittlung funktioniert - da braucht man dann eben Minimum 40 Leute, um an allen Haustüren zu klingeln, sämtlich Tankstellen im Umland zu besuchen, Kamerabilder auszuwerten und so weiter. Die Polizei kann wahrscheinlich trotzdem ein Lied davon singen, wo überall gespart wird und welche Mittel eben nicht eingesetzt werden - weil sie aus Kostengründen schlichtweg nicht zur Verfügung stehen.
"Meine Mama ist Schwäbin, das ist für mich ein bisschen Heimat"
"Spuren" erzählt zwei wahre Fälle, die sich 2016 in Südbaden ereignet haben. Die Serie ist ebenfalls im ländlichen Baden-Württemberg angesiedelt, die Ortsnamen sind aber fiktiv. Warum?
Kunzendorf: Wir haben ganz bewusst eine ganze Ecke entfernt von jenen Gemeinden gedreht, wo sich die echten Morde ereignet haben. Nun ist das südliche Baden-Württemberg nicht endlos groß, aber wir waren schon ein Stück weg. Es wäre respektlos gewesen, in den echten kleinen Tatort-Gemeinden zu drehen - und dort wieder alte Wunden aufzureißen.
In "Spuren" wird viel Dialekt gesprochen. Auch eine Frage der Authentizität?
Kunzendorf: Viele Schauspieler im Ensemble sprechen Dialekt und kommen aus der schwäbischen Republik. Wer sich genau auskennt, kann die gesprochenen Dialekte unterscheiden, denn gerade das Schwäbische und Badische hat viele regionale Nuancen. Meine Mama ist Schwäbin, das ist für mich ein bisschen Heimat. Meine halbe Verwandtschaft lebt dort. Meine Urgroßmutter kommt sogar aus einem Ort, in dem wir für "Spuren" gedreht haben. Aus Strümpfelbach, das liegt östlich von Stuttgart.
Was ist an der Serie ist fiktiv - und was echt?
Kunzendorf: Viele Details der beiden Fälle haben wir übernommen, wenn auch nicht alle. Bei den Ermittlern gibt es dagegen ziemliche Unterschiede. Meine Figur war in echt ein Mann, sie ist frei erfunden. Was ich aber sehr schön finde, ist, dass die Ermittler so sensibel und respektvoll mit den Anwohnern umgehen. Die Figur meines von Tilman Strauß gespielten Kollegen kommt sogar aus dem Ort der Tat. Es ist sicher nicht einfach, wenn man in einem Umfeld nach einem Mörder suchen muss, das man privat gut kennt. Ich mochte diesen Aspekt der Geschichte sehr gern.
Was haben Sie aus dieser Arbeit mitgenommen?
Kunzendorf: Dass es ein tolles Schauspiel-Ensemble war, das wunderbar im Team gearbeitet hat. So, wie es auch bei einer echten Soko sein sollte und wohl oft ist. Der schönste Erfolg für mich als Schauspielerin ist immer der Erfolg des Ensembles. Ich bin aus dem Alter raus, wo man noch versucht, vor allem individuell zu glänzen. Außerdem hat mich "Spuren" darin bestärkt, dass ich Figuren vor allem über ihre Handlungen wahrnehme und verstehe. Daraus entsteht für mich eine Rolle: Was tut sie, wie handelt, wie entscheidet sie? Das ist für mich beim Spielen das Entscheidende. Weniger die Biografie, die Befindlichkeit, ausgedachte Wesenszüge oder Macken. Bei "Spuren" habe ich mich der Erzählung zur Verfügung gestellt, weniger dem Ausmalen einer Rolle.